Die ländliche Variante des Potsdamer Platzes
Der Golf Club Gross Kienitz: Wer gerne mal den Boden des berühmten Potsdamer Platzes unter seinen Füßen spüren möchte, zugleich aber das nahezu unvermeidliche Verkehrschaos im neuen Zentrum Berlins scheut, dem kann geholfen werden – mit einer Fahrt auf der B 96 stadtauswärts, immer schnurgerade Richtung Süden. Aus dem Tempelhofer wird der Mariendorfer und schließlich der Lichtenrader Damm. Wo Berlin einst an Stacheldrahtverhau und Todesstreifen endete, wird die Straße autobahnähnlich breit – dann noch gut sechs Kilometer, Abfahrt Dahlewitz, einmal links, zweimal rechts.
Voilà: der Potsdamer Platz, freilich ohne Bahn-Tower, Shopping-Mall, Ritz-Carlton und Marriott-Hotel, Multiplex-Kinos und Legoland, dafür mit einem stattlichen Clubhaus, zwei 300 Meter langen Driving Ranges, einem üppigen Angebot an Übungsmöglichkeiten, einer vorzüglichen Golfschule – und einem der längsten und herausforderndsten Plätze der insgesamt 18 Golfanlagen in Berlin/Brandenburg.
Des Rätsels Lösung: am Rand des kleinen Dörfchens Groß Kienitz liegen jene 180.000 Kubikmeter Aushub ausgebreitet, die in den 90er Jahren aus dem Herzen der eben wiedervereinigten Hauptstadt mit Kanalschiffen und Lastwagen weggeschafft werden mußten, damit auf dem toten Niemandsland unmittelbar an der weggehämmerten Mauer die Hochhäuser des neuen, futuristisch anmutenden Potsdamer Platzes 25 Stockwerke hoch in den Himmel über Berlin wachsen konnten.
Knapp jenseits der Stadtgrenze wußten sie mit all dem Dreck aus Berlin-Mitte etwas Gutes anzufangen. Zwei Jahre lang brummten im kleinen Groß Kienitz täglich bis zu 200 mit Erde und Schutt vollbeladene Lkw‘s über die Dorfstraße. Räumer und Bagger verwandelten nach und nach 80 Hektar brettebenen Ackerlandes in eine sanft hügelige Landschaft – in den „Robert Baker“-Meisterschaftsplatz der Golfanlagen Groß Kienitz, die bis dahin nur über einen flachen, aber ziemlich langen, wasserreichen und entsprechend fordernden 9-Loch-Platz verfügt hatten.
Heraus kam ein abwechslungsreicher Kurs mit schönen Ausblicken in die weite brandenburgische Landschaft, mit relativ kleinen, dafür durch zahlreiche Bunker überaus gut verteidigten Grüns. Und dank der zum Teil riesigen Rough-Flächen zwischen den Fairways drängt sich so manchem Gastgolfer selbst bei einem gut besuchten Turnier bisweilen der Eindruck auf, nahezu allein auf dem Platz sein.
Es ist der einzige nach dem in Florida lebenden Südafrikaner benannte Kurs; denn Robert Baker hat nie wirklich Golfplätze entworfen, war hingegen als brillanter Golftrainer und Erfinder der „Logical Golf“-Trainingsmethode oft Retter in der Not für Tiger Woods,
Ernie Els, Nick Faldo und andere Golf-Heroen in Formkrisen. Und er hat persönliche Beziehungen nach Berlin, spielt daher ab und an eine ruhige Runde auf „seinem“ Platz am südlichen Stadtrand.
Wobei die Ruhe vor allem von der Windrichtung abhängt. Wenn Westwind herrscht, kommen in Gross Kienitz auch Airplane-Spotter voll auf ihre Kosten. Dann nämlich kann man bei der Golfrunde etwa im Zwei-Minuten-Takt jeden Passagierjet, der gerade auf dem unmittelbar benachbarten Hauptstadtflughafen BER gestartet ist, genüßlich beim Steigflug beobachten, Fernweh inklusive. Verwundern würde es nicht, machte der wie für Longhitter geschaffene Robert-Baker-Platz – wer hier die Hölzer im Bag läßt, ist absolut auf dem Holzweg! – in Zukunft international noch unter der Bezeichnung „Berlin-Brandenburg Airport Golfcourse“ Karriere.
Schon heute trifft man in Gross Kienitz auf viele Luftfahrt-affine Gastspieler – Ingenieure von Rolls Royce, die im benachbarten Dahlewitz Jet-Triebwerke produzieren, oder Piloten aus aller Welt, die Entspannung suchen nach hartem Training im Simulatorzentrum von Lufthansa Aviation Training (LAT) im nahen Schönefeld.
Zum Beobachten der Jets aus aller Herren Länder eignet sich vorzüglich die Sonnenterrasse der „Almhütte“ genannten gemütlichen Halfway-Station am Fuß der „Kienitzer Berge“. So nämlich nennen die Clubmitglieder die dicht bewaldete Mini-Anhöhe, die verhindert, daß man direkt von Loch 10 bis 13 auf die nur wenige hundert Meter entfernte Runway Süd des BER blicken kann. Wie sagt doch der Berliner in seiner berühmten, ihm angeborenen Bescheidenheit zum Gast aus Bayern? „Wir ham zwar keene Berje; aber wenn wir welche hätten, dann wär‘n se höher als Eure!“
Von Wolfgang Weber
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